Rawe – Historie

Die Anfänge von Rawe:
Fabrikantenliebe und ein Industriepalast

Im Jahre 1886 lernt der 22 jährige Textilkaufmann Bernhard Rawe (1864 – 1950) bei einem Tanzkurs in seiner Heimatstadt Münster die Nordhorner Fabrikantentochter Ella Kistemaker kennen und lieben. Gemeinsam ziehen die jungen Leute 1888 nach Nordhorn, wo Rawe zum Teilhaber der von seinem Schwiegervater geleiteten Spinnerei Kistemaker wird. 1896 gründet er die Weberei Bernhard Rawe & Co. 1901 steigt er aus der Spinnerei Kistemaker aus und gründet 1911 die Baumwollspinnerei Bussmaate, die zur Keimzelle für den Aufstieg der Textilfirma Rawe wird. Zwischen 1906 und 1938 steigt die Zahl der Beschäftigten bei Rawe von 250 auf 1.600 Mitarbeiter.

Der Bau der Spinnerei Bussmaate nach Plänen des Enscheder Industriearchitekten Gerrit Beltmann dokumentiert eine die Zeitgenossen überwältigende Verwandlung des verschlafenen Ackerbürgerstädtchens Nordhorn in ein Zentrum der deutschen Textilindustrie. „Als neues Zeichen der emporblühenden Textilfabriken kann auch dieser neue Industriepalast seiner Bestimmung übergeben werden“, notiert die Bentheimer Zeitung im Juni 1912 (Bilder unten).

Der Aufstieg zu einem Großunternehmen
Rawe überwindet die Folgen der Weltwirtschaftskrise und kauft etliche Konfektionsbetriebe außerhalb Nordhorns auf. Hierzu zählen Wäschefabriken in Rheda, Castrop-Rauxel, Münster und Metelen. Die Betriebe werden unter Rawe - Rheda/Wiedenbrück zusammengefasst. Damit vereint Rawe die Produktion von der Rohfaser bis zur Fertigware unter einem gemeinsamen Dach. Im Jahre 1937 dokumentiert der Neubau einer lang gestreckten Weberei entlang des Vechteufers in Nordhorn den Aufstieg von Rawe zum dritten Großbetrieb der Nordhorner Textilindustrie. Die Bekleidungswelle der Nachkriegszeit führt 1951 zu einer erneuten Erweiterung der Rawe-Anlagen. Rawe beschäftigt mittlerweile 2.300 Mitarbeiter. Das Unternehmen produziert vor allem Stoffe für Arbeitskleidung, Unterwäsche, Schlafanzüge, Nachthemden und Schürzen. Bis 1957 steigt die Zahl der Mitarbeiter in Nordhorn auf 2.600 (Bilder rechts) an. Die westfälischen Konfektionsbetriebe zählen weitere 1.400 Mitarbeiter. Ab 1962 wandelt Rawe auf NINO-Pfaden. Bekleidung aus Rawe-Stoffen wird unter dem Zeichen eines Raben als Markenartikel mit dem Etikett Original-Rawe verkauft. Es beginnt ein millionenschwerer Werbefeldzug. „Der Rabe zwinkert und der Tommy lacht“ titelt die Lokalzeitung bei der Vorstellung der ersten Markenkollektion. Die 1966 einsetzende Wirtschaftsrezession, die das Ende des bundesdeutschen Wirtschaftwunders einläutet, beschert Rawe einen ungeahnten Einbruch. In Rheda liegen unverkäufliche Lagerbestände im Gegenwert etlicher Millionen. 1966 zwingen die auflaufenden Verluste Rawe zum Verkauf aller Konfektionsbetriebe außerhalb Nordhorns.

Rawe im Boom bunt bedruckter Stoffe
Im Zuge einer Neuorganisation der Produktion spezialisiert sich Rawe seit den späten 1960er Jahren auf die Herstellung von Stoffen im Buntdruckverfahren und wird in diesem Bereich bis in die 1990er Jahre hinein zu einem der führenden Produzenten in der Bundesrepublik.

Im Jahre 1989 verkaufen die Rawe-Gesellschafter den Nordhorner Traditionsbetrieb an den Frankfurter Wisser-Konzern. Der weiterhin in eigener Regie geführte Betrieb verzeichnet zwischen 1988 und 1991 Umsätze von jährlich fast 240 Millionen DM. Vor allem die auf Buntdrucke spezialisierte Rawe-Veredlung profitiert von einem jahrelangen Boom im Druckbereich. In dieser Zeit investiert Rawe im Bereich der Spinnerei und der Stoffdruckerei jährlich zwischen 15 und 25 Millionen. 1992/93 läuft der Druckboom aus.

Aus und vorbei: Die letzte Modenschau
Die Konkurrenz von Spinnereien in Südostasien und Osteuropa sorgt für einen Preisverfall bei den in der Spinnerei hergestellten Garnen. 1992 tritt erstmals ein Verlust von 12 Millionen DM auf. Zwischen 1994 und 1997 bricht der Markt für Druckstoffe zusammen. Rawe schreibt rote Zahlen. Dringende Investitionen unterbleiben. Die 1990er Jahre sind vom Kampf der Belegschaft gegen den Abbau von Arbeitsplätzen geprägt. Im Jahr 1992 legen 500 Rawe-Werker den Durchgangsverkehr auf dem Nordhorner Stadtring lahm. Man protestiert gegen die beabsichtigte Schließung der Spinnerei mit ihren 240 Arbeitsplätzen . Die Aktionen der Belegschaft können den Abbau von Arbeitsplätzen nicht aufhalten. Zwischen 1991 und 1997 sinkt die Zahl der Mitarbeiter von 1.300 auf 800. Es folgen weitere drastische Sanierungsmaßnahmen. Eine Landesbürgschaft sichert Investitionskredite. Die Belegschaft übt Lohnverzicht in Millionenhöhe. Stadt und Landkreis kaufen Grundstücke. Mit der Rawe-Werkstätten GmbH wird ein profitabler Betriebsteil verkauft. Noch 1999 veranstaltet Rawe einen kostenträchtigen Tag der Offenen Tür. Eine aufwendige Modenschau zeigt die Rawe-Kollektion für die Saison Frühjahr/Sommer 2000. Ein letztes Mal weht der Hauch der großen Modewelt durch Nordhorn. Wochen später wird dennoch klar: Die Sanierung scheitert. Zum Jahresende 1999 wird die Spinnerei geschlossen. Die Weberei wird zum 30. Juni 2000 stillgelegt. Zum 30. Juni 2001 läuft auch die Produktion in der Stoffdruckerei aus. Mit Rawe schließt das letzte große Nordhorner Textilunternehmen seine Tore.