Povel oder der „Take Off“ der Nordhorner Textilindustrie

„Im Jahre 1872 gründet der Nordhorner Textilkaufmann Anton Povel die Textilfirma Povel. Beschäftigt werden ganze 14 Mitarbeiter. Zu dieser Zeit ist Nordhorn ein recht unbedeutendes Landstädtchen mit gerade einmal 1.700 Einwohnern. 100 Jahre später – 1972 – beschäftigt Povel 2.000 Menschen .

1880 übernimmt sein Sohn Ludwig Povel im Alter von nur 21 Jahren die Firma. Das Jahr 1889 markiert den eigentlichen „Take Off“ der Nordhorner Textilindustrie. Ludwig Povel bringt unter dem Logo Vom Besten das Beste – Ludwig Povel & Co. Nordhorn einen völlig neuen Artikel auf den Markt, die bald in ganz Deutschland bekannten Waterschürzen. Ein aus Baumwolle hergestellter Schürzenstoff, der sich durch die Sorgfalt der Blaufärbung, ein mit neuartiger Gewebebindung erzieltes schönes Streifenmuster und einen konkurrenzlos niedrigen Preis auszeichnet. 1913 beschäftigt Povel bereits 1.000 Mitarbeiter. In der Fachzeitschrift Der Confektionär heißt es: „Heute liegt dort an der holländischen Grenze wie ein Vorposten des neudeutschen Industriestaates, wie eine Musterausstellung deutscher Industrietechnik die Povelsche Fabrikstadt mit einem stattlichen Arbeiterheer.“ 

Blütezeiten
In den „Goldenen Jahren“ der Weimarer Republik nach dem 1.Weltkrieg und den Inflationsjahren 1922/23 erlebt die Nordhorner Textilindustrie eine erneute Blütezeit. In Deutschland boomt die Nachfrage nach Textilien. Povel modernisiert und erweitert seine Fabrikanlagen. 1927 zählt man 1.600 Beschäftigte. Schadlos übersteht Povel die Jahre des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges. Im Zuge der Wirtschaftswunderjahre mit ihrem großen Nachholbedarf an Kleidung erreicht Povel 1957 mit 3.000 Mitarbeitern seine höchste Beschäftigtenzahl.

Ein Hauch des „Swinging London“
Zum Trendsetter im Modebereich wird Povel im Jahr 1968 mit einer Kampagne rund um eine Mrs. Emma Peel-Kollektion aus Povel-Stoffen. Die englische Schauspielerin Diana Rigg, in ihrer Rolle als Emma Peel die Hauptdarstellerin der Fernsehserie Mit Schirm, Charme & Melone (The Avengers), präsentiert Damenbekleidung für modebewusste junge Frauen. Eine frische Brise des „Swinging London“ weht durch die Nordhorner Provinz.

Im Verlauf des Jahres 1968 erscheinen etliche ganzseitige Werbeanzeigen für die Mrs. Emma Peel-Kollektion in Zeitschriften und Illustrierten wie Stern, Bravo, Constanze, Freundin und Brigitte. Die bei Povel hergestellten Stoffe der Emma Peel – Kollektion werden mit Hilfe entsprechender Lizenzverträge an ausgewählte Bekleidungshersteller verkauft. So erhält die Nordhorner Bekleidungsfirma ERFO die Lizenz zur Herstellung einer Blusenkollektion aus 25 Emma Peel-Modellen und das bekannte Wattenscheider Unternehmen Steilmann die Lizenz zur Herstellung von Hosenanzügen und Damenröcken.

Povel und van Delden:
Die Krise der 1970er Jahre

Im Jahr 1969 übernimmt die Delden-Gruppe aus dem westfälischen Gronau den direkten Konkurrenten Povel. Die Produktion wird umgestellt. Die Delden-Philosophie entspricht den Grundsätzen der seit den 1970er Jahren erfolgreichen südostasiatischen Textilproduzenten: Man setzt auf die Massenproduktion einer geringen Zahl an unifarbenen Bekleidungsstoffen mit hohem Kunstfaseranteil statt auf die Herstellung hochmodischer Stoffe in geringen Partien. Im Zuge der wirtschaftlichen Rezession, die 1973 durch eine erste weltweite Öl- und Energiekrise ausgelöst wird, sinkt die Nachfrage nach Textilien. Die Preise für auf Erdölbasis hergestellte Kunstfasern steigen. Große Order von Delden-Kunden wie der Bekleidungskette C&A bleiben aus. Reine Baumwollprodukte wie Blue Jeans erleben eine Renaissance. Bei Povel stapeln sich die unverkäuflichen Lagerbestände bis unter die Decke. Eine Modernisierung des Maschinenparks unterbleibt. Im Oktober 1978 geht Povel in den Konkurs. 1.100 Textiler werden in die Arbeitslosigkeit entlassen.

Ein Sanierungsfall: Das Povel-Fabrikgelände
Beim Abriss der Fabrikanlagen 1980/81 bleiben ganze drei Textilgebäude aus Gründen des Denkmalschutzes verschont: Das 1906 erbaute Verwaltungsgebäude, der ebenfalls 1906 errichtete Spinnereiturm (heute: Stadtmuseum Povelturm) und die 1949 erbaute Neue Weberei, die zwischen 1997 und 1999 zum heutigen Kulturzentrum Alte Weberei umgebaut wird. Im Jahre 1987 beginnt eine großflächige Sanierung des gesamten Fabrikgeländes. Bis zur Mitte der 1990er Jahre entsteht ein neues Stadtquartier, die Wasserstadt Povel. Sanierung und Neubebauung sorgen weltweit für Furore. Sanierungsexperten und Stadtplaner aus aller Herren Länder reisen nach Nordhorn, um die erfolgreiche Umwandlung des Povel-Fabrikgeländes in ein innerstädtisches Wohn- und Dienstleistungsquartier zu studieren.